Astrid Rotner und Eugen Bütler, Heimseelsorge: Leistung anerkennen, nicht bemitleiden

Wertschätzung? In den zwei Jahren zu diesem Schwerpunktthema fragt das «Kirchenschiff» in loser Folge Personen nach ihrer Meinung und ihren Erfahrungen dazu. In der April-Ausgabe 2022: Astrid Rotner und Eugen Bütler, Seelsorgerin und Seelsorger in Luzerner Betagtenzentren.
Heimseelsorger Eugen Bütler und Astrid Rotner mit Bewohnern des Alterszentrum Viva Luzern Wesemlin
Zuhören ist Wertschätzung: Eugen Bütler (links) und Astrid Rotner (hinten), Heimseelsorgerin und Heimseelsorger, an einem Tisch mit Bewohnerinnen des Alterszentrums Viva Luzern Wesemlin. | © 2022 Dominik Thali

«Wertschätzung ist eine der wichtigsten Grundlagen in der Heimseelsorge. Das hat viel mit der Lebensgeschichte einer Bewohnerin, eines Bewohners zu tun. Wenn wir uns darauf einlassen und zuhören, staunen wir oft, welch dichtes und oft von viel Verantwortung geprägtes Leben da schon gelebt worden ist. Wir dürfen auf keinen Fall der Versuchung erliegen und annehmen, jemand sei geistig nicht mehr auf der Höhe, bloss weil er oder sie sich wegen einer Einschränkung nicht mehr gut ausdrücken kann. Zuhören ist also Wertschätzung.

Worte, die gut tun

Wertschätzung ist auch, die Bewohnerinnen und Bewohner darin anzuerkennen, dass sie Menschen sind mit reicher Lebenserfahrung, die noch viel Kompetenz und Weisheit mitbringen. Ihre Einschränkungen und oft zurückgezogene Art dürfen uns nicht täuschen. Oft sind Betagte ein Vorbild darin, wie man mit Einschränkungen umgeht. Es ist eine grosse Herausforderung, wenn man beispielsweise für fast jede Handreichung der Pflege läuten muss. Als Seelsorgende dürfen wir dann nicht etwa eine Schwierigkeit mit einem Spruch verharmlosen wie ‹Ja schon, aber schauen Sie mal, wie schön es draussen ist›. Gerade bei Menschen, die unter starken Schmerzen leiden, fehlen uns auch mal die Worte. Das zu sagen genügt mitunter aber schon. Eine Frau antwortet dann jeweils: ‹Das macht nichts, Ihre Worte tun mir trotzdem gut.› So etwas bedeutet wiederum für uns Wertschätzung.

Ohnehin wollen die Bewohnerinnen und -bewohner nicht auf ihre Einschränkung reduziert werden. Und schon gar kein Mitleid. Das setzt sie herunter. Oft haben sie ja noch viel Lebensqualität. Wertschätzung ist, von ihnen zu lernen, wie man mit Einschränkungen umgehen und dem Leben gleichwohl noch Positives abgewinnen kann. Gestorben wird erst am Schluss.

Wir von der Seelsorge haben das Privileg, für die Menschen, die im Heim leben, mehr Zeit zu haben als die Pflegenden. Daraus schöpfen wir viel für unser eigenes Leben. Eine Aufgabe von uns ist vor diesem Hintergrund auch die Wertschätzung des Personals. Wenn eine Bewohnerin, ein Bewohner über die Pflege schimpft, hören wir zu, zeigen Verständnis und relativieren aber auch, indem wir etwa sagen, es könne auch mal jemand an seine Grenzen stossen.

Beinahe systemrelevant

Das kam gerade in den Coronajahren gelegentlich vor. Die Pandemie hat das Bewusstsein für unsere Aufgabe, die Bedeutung der Heimseelsorge, gestärkt. Vor allem in den Monaten der Isolation. Gespräche via Telefon waren nur ein halbwertiger Ersatz. Und: ‹Wann finden wieder Gottesdienste statt?›, wurden wir oft gefragt. Wir waren unversehens beinahe systemrelevant.»

Astrid Rotner, 61, Theologin und Psychologin, ist Seelsorgerin im Betagenzentrum Viva Luzern Wesemlin; Eugen Bütler, 63, Theologe und psychologischer Berater, ist Seelsorger im Betagtenzentrum Viva Luzern Dreilinden.

 

    WERTschätzen

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