Frauen*KirchenStreik: gemeinsames Sesselrücken – jetzt!

«Und werdet sichtbar…», steht auf dem Programmzettel des Frauenstreiks Luzern. Im Gespräch mit drei Frauen, die sich unterschiedlich in der Kirche engagieren, wird deutlich, wie brisant diese Sichtbarmachung gerade auch für die Kirche ist.
Sie wollen niemandem den Platz wegnehmen. Sie wollen in der Kirche mitwirken, mitgestalten, mitentscheiden. V. l. Regula Grünenfelder (FrauenKirche), Simone Marchon (Theologin) und Renata Asal-Steger (Synodalrätin). | © 2019 Fleur Budry

Kirche und Streiken – ist das ein Widerspruch?

Regula Grünenfelder: Nein, überhaupt nicht. Unterbrechung ist nach Johann Baptist Metz die kürzeste Definition von Religion. In dem Sinne ist Streiken oder etwas unterbrechen, um genau hinzuschauen, auf neue Ideen zu kommen, ein sehr religiöses, auch kirchliches Verhalten.

Renata Asal-Steger: Die Frage ist auch: Was bedeutet Streik? Kirche sein hat etwas mit Innehalten zu tun. Und auch der Frauen*KirchenStreik ist für mich Innehalten. Sich herausnehmen aus dem Alltag, sich mit etwas intensiv beschäftigen, nachdenken. Daher ist das kein Widerspruch.

Simone Marchon: Kirche heisst ja nicht konform sein. Das ist vielleicht ein Bild von Kirche. Ich habe ein anderes. Ich will ein anderes. Nur weil ich eine Vertreterin der Kirche bin, heisst das nicht, dass ich den Leuten gefallen muss.

Warum ein Frauen*KirchenStreik?

Marchon: Wir wollen konstruktiv etwas verändern.

Grünenfelder: … in einem Kontext, in dem die Erschütterung bereits sehr gross ist. Eine Aktion am Frauen*KirchenStreik wird ein Austausch in der Peterskapelle sein. Eingeladen sind engagierte Kirchenfrauen aus der ganzen Schweiz. Denn wir müssen über unsere Ziele reden, davon, wie wir in der Kirche weiterfahren wollen. Dieses Innehalten ist sehr wichtig. Streik ist eine kollektive Form von Innehalten.

Wie kam es überhaupt zum Frauen*KirchenStreik?

Grünenfelder: Das begann in einem WhatsApp-Chat. Ich muss ausholen: Es gibt eine Gruppe, die nennt sich «Theolog*innen mit Alben». Entstanden ist sie im Zusammenhang mit dem Papstbesuch in Genf, bei dem für die Liturgie mit dem Papst nur zwei Kategorien genannt wurden: Priester/Diakon und Volk Gottes. Das gab eine Diskussion. Denn die Hälfte der Gottesdienste in der Schweiz wird nicht von Priestern und Diakonen gehalten. Und diese Wirklichkeit wurde an dem Anlass komplett ausgeblendet. Darauf haben Bischof Felix, Elke Kreiselmeier und Monika Hungerbühler die dritte Kategorie benannt: Theolog*innen mit Alben, also Liturgieverantwortung. Dieser WhatsApp-Chat verbindet seither Theologinnen und Theologen schweizweit. Und in diesen Chat habe ich nach dem Kirchenaustritt der sechs engagierten Frauen im vergangenen Herbst geschrieben, dass wir einen Frauen*KirchenStreik brauchen. Der Ausgangspunkt war also die FrauenKirche Zentralschweiz, Luzern. Es tat mir in der Seele weh, dass z.B. Ruth-Gaby Vermot und Cécile Bühlmann, dass diese Frauen resigniert haben. Das war ganz schlimm für mich. Und für andere Frauen auch. Das war eine tiefe Erschütterung. Und darum ist es gut, wenn wir uns daran erinnern: Es geht nicht darum, dass wir einfach eine Mitra tragen, die Situation ist streikwürdig. Wir sagen Stopp! So kann es nicht mehr weitergehen. Wir verlieren die Kirche, wir verlieren alle Menschen guten Willens.

Asal-Steger: Diese Erschütterung spüre ich auch. Ich kann diese Frauen verstehen, die nach Jahren des sich Einsetzens für eine Erneuerung in unserer Kirche müde sind. Wenn ich aber etwas in der Kirche verändern und mitgestalten will, dann muss ich bleiben. Die Kirche braucht Veränderung und Erneuerung, um weiterhin glaubwürdig zu sein. Da möchte ich mitgestalten, mitdenken und mitentscheiden.

Grünenfelder: Und darum ist der Streik das richtige Mittel. Wenn Verhandlungen nicht fruchten – und das sind ja genau die Erfahrungen, die so müde machen –, dann gibt es die Möglichkeit zu kündigen und zu gehen. Oder zu streiken, wenn es dir wirklich ernst ist. Es ist wichtig, dass wir es schaffen, dem Streik diese Ernsthaftigkeit zu geben.

Sind Sie auch müde?

Marchon: Ja. Das beginnt bereits im Studium. Da hast du noch Elan und denkst, du kannst etwas verändern. Und du weisst auch: Wir sind ja nicht die ersten. Ziemlich bald merkst du aber: Es verändert sich doch nichts. Es ist aber nicht nur eine Resignation, die ich spüre. Es geht viel eher darum, das Ganze in einen realen Kontext einzubetten. Jetzt verändert sich vielleicht nichts. Aber wenn ich mich nicht einsetze, kann sich nie etwas verändern. Was ich wichtig finde, auch bei diesem Streik, ist das Sichtbarmachen. Das Beispiel von Genf zeigt, wir sind nicht nur nicht eingeladen, sondern man sieht uns überhaupt nicht. Wir werden quasi aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Wenn Frauen nicht erwähnt werden, sind sie auch nicht da. Das ist also eine Frage des Blicks. Wir müssen uns sichtbar machen. Auch am Frauenstreik.

Asal-Steger: Hier kommt das Miteinander zu tragen. Es braucht viel mehr Kraft, wenn ich mich allein für etwas einsetzen muss.

Wie motivieren Sie für den Streik? Zum Beispiel wenn es schwierig ist, die private Rolle von der am Arbeitsplatz zu unterscheiden. Oder wenn Ängste mit im Spiel sind?

Marchon: Das kann ein Problem sein. Einerseits wollen wir sichtbar werden und andererseits macht dich das zur Angriffsfläche. Ich kann dabei sein, weil ich weiss, dass meine Gemeindeleitung und meine Pfarrei das unterstützt.

Asal-Steger: Beide, Mann und Frau, sind Ebenbilder Gottes, sind also gleichwertig und gleichberechtigt. Nach aussen setzt sich die Kirche für Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung ein. Innerhalb der Kirche sind wir jedoch noch weit davon entfernt. Dass Frauen, denen die Kirche (noch) am Herzen liegt, diese innerkirchliche Ungleichheit nicht länger akzeptieren und einen Punkt setzen wollen, dagegen lässt sich meines Erachtens nichts einwenden.

Grünenfelder: Wir hören und lesen von den Missbräuchen, und kein Bischof bringt es fertig sich zu äussern, dass das mit Strukturen zu tun hat. Wir leben und arbeiten nicht in einem Montagsmodell, das ausgebessert werden kann. Hier und jetzt können wir uns überlegen, was denn die Forderungen sind, auch auf dem Platz Luzern. Es geht einerseits darum, die Arbeitnehmenden zum Mitwirken zu motivieren. Und andererseits zu einer solidarischen Bewegung zu ermutigen, die sich auch mit Frauen, Homosexuellen, Kindern in den Kirchen des Südens verbunden weiss. Ein Streik ist kein Tag allein daheim, sondern eine öffentliche Auseinandersetzung.

Was ist Ihnen vom Frauenstreik 1991 geblieben? Sehen Sie, was sich seither verändert hat im Kirchenkontext, oder ist es Stagnation, ist es sinnlos?

Marchon: Es ist auf keinen Fall sinnlos. Das Bewusstsein hat sich verändert.

Asal­-Steger: Stagnation ist sicherlich da, aber nicht nur. Die Sensibilisierung für die Thematik ist weiterhin vorhanden und in kleinen Schritten gibt es auch Veränderungen. Die zentrale Frage ist jedoch, wann verändert sich etwas Grundlegendes an den kirchlichen Strukturen.

Grünenfelder: Der Frauen*KirchenStreik ist ein Mosaiksteinchen. Er kann viel auslösen. Streik ist eine notwendige Selbstermächtigung. Vergleichbar mit der Gründung der FrauenKirche vor dreissig Jahren. Frauen haben damals gesagt, wir brauchen jetzt Beteiligung, wir müssen verändern. Da hat feministische Theologie in Luzern begonnen. Heute können wir sagen, dass beinahe in jeder Pfarrei jemand feministisch-theologisch arbeitet. Das ist doch mega. Da haben unsere Vorgängerinnen wirklich sehr viel möglich gemacht. Viel erreicht. Ich würde also sagen, wir stehen heute an einem völlig anderen Punkt. Wir sind aber auch mit einer völlig anderen Kirchensituation konfrontiert als noch vor 20, 30 Jahren.

Wäre es darum nicht gerade ein Zeichen, eine Chance für die Kirche, jetzt Ja zu sagen zum Frauenstreik?

Grünenfelder Streik ist eigentlich kein Streik, wenn der Arbeitgeber dir sagt, dass du streiken darfst. Hier müssen wir über Ungehorsam nachdenken. Und über die Folgen. Irgendwann muss man auch darüber reden, dass es Konsequenzen haben kann. Wenn wir nicht bereit sind, Konsequenzen zu tragen, dann müssen die anderen sich nicht verändern. Was verstehen wir unter Gleichstellung in der Kirche? Ich höre oft: «Ihr habt ja die Gleichstellung. Ausser halt im Thema der Weihe.» Du kannst Synodalrätin sein, du kannst Macht haben.

Asal-Steger: Das ist die staatskirchenrechtliche, demokratische Struktur.

Grünenfelder: Genau, das ist super. Und doch müssen wir über die Diskriminierung von Frauen sprechen, die berufen sind zur Priesterin.

Marchon: Wir müssen aber noch einen Schritt weiter gehen. In dieser Krise zu fordern, dass wir Priesterinnen werden wollen, ist für mich zu einfach. Da wären wir nachher wieder gleich weit, was die Strukturen anbelangt. Es muss mehr passieren. Vielleich ist die Gleichberechtigung einfach ein Schritt, hin zu den Veränderungen, die grundlegender sind. Ich will nicht Priesterin werden. Ich will nicht da irgendwo alleine stehen. Das ist nicht meine Art. Ich will eine Zusammenarbeit auf gleichwertiger, gleichberechtigter Basis.

Grünenfelder: Das ist wichtig. Wir wollen ja nicht einfach das Management auswechseln. Oder ergänzen. Wir wollen in einer Krisensituation herausfinden, wovon wir mehr, wovon weniger brauchen, was wir weglassen. Das ist eine Haltung, die dieser Top-Down-Struktur widerspricht. Am Frauenstreik 1991 gab es den Slogan: «Wir wollen nicht ein grösseres Stück vom Kuchen. Wir wollen die ganze Bäckerei.» Wir wollen also miteinander schauen, welches Brot wir gemeinsam backen, das dann auch wirklich nährt.

Asal-Steger: Genau. Männer und Frauen zusammen. Synodal. Gemeinsam. Es ist ein Prozess. Das Ergebnis ist noch offen, aber es muss eine Bereitschaft da sein, gemeinsam an den Tisch zu sitzen, einander zuzuhören. Es braucht einen gemeinsamen Weg.

Grünenfelder: Wir wollen am Rezept beteiligt sein.

Das Rezept wäre dann ja auch viel besser.

Grünenfelder: Es wird ökologischer. Da sind nämlich Bio-Eier drin.

Und es wird teurer?

Grünenfelder: Gesünder.

Asal Steger: Farbiger.

Gewinnbringender!

Grünenfelder: Das ist das richtige Stichwort. Lasst uns auch laut sagen, was der Gewinn von Gleichberechtigung ist, von Veränderung.

Asal­-Steger: Du hast danach nicht weniger. Du hast mehr.

Grünenfelder: Der Kuchen wird viel besser. Menschen sind eher bereit für Veränderung, wenn sie einbezogen sind. Der Begriff der Stellvertretung – von Dorothee Sölle christologisch gesehen – ist für mich so wichtig. Privilegien einsetzen, um jemandem zum Recht zu verhelfen, das ist ein urchristlicher Gedanke. Wenn wir Männer gewinnen können, denen wir sagen können: «Du hast ein Privileg als Mann, als Priester in der Kirche. Du kannst dazu beitragen, dass Unrecht aufhört!», dann nehmen wir niemandem etwas weg, sondern sprechen Potenziale an.

Wie kamen Sie, Frau Marchon, eigentlich dazu, in der AG Frauen*KirchenStreik mitzumachen?

Marchon: Ich bin da so reingerutscht. Die Kommission hat sich eher zufällig gebildet. Wir haben uns immer wieder ausgetauscht, viel geschrieben und inzwischen läuft das alles dezentral. Wir haben auch schnell gemerkt, dass niemand in der Gruppe wirklich die Kapazität hat, einen riesigen Anlass zu planen. Wir geben die Energie rein, stossen etwas an. Es geht darum, überall zu mobilisieren. Ich schaue in der Stadt, bei mir vor Ort. Die anderen machen das Gleiche – Es ist ein Schneeballprinzip. Ich freue mich total. Da kommt gerade so viel Energie auf mit dem Frauen*KirchenStreik.

Asal­-Steger: Darum ist die Webseite des SKF (frauenbund.ch) ja so gut. Dort können Ideen abgeholt werden, ich kann mich inspirieren lassen von anderen.

Haben Sie selbst konkrete Pläne?

Grünenfelder: Am 14. Juni gibt es vor der Jesuitenkirche eine Chill-Area mit Liegestühlen. Wir zitieren und feiern 1991. Kirchenmänner sind eingeladen, Kuchen zu bringen. Wir finden eine Form, um uns über neue Gesellschafts- und Kirchen-Rezepte auszutauschen. Es gibt ja gerade so viel Energie und Initiativen zur Erneuerung der Kirche. Deshalb laden wir dann am 16. Juni zum Gespräch in die Peterskapelle ein.

Marchon: Der Pinke Punkt kann überall aufgenommen, integriert werden. Die Idee dahinter ist, dass sich nichts verändert, wenn wir nicht anwesend sind bei den Gottesdiensten, bei der Arbeit. Es geht darum, die Menschen mit dem Thema zu konfrontieren.

Asal-Steger: Nicht fernbleiben. Bereits seit längerem sind diese Tage in meiner Agenda für verschiedene «kirchliche» Sitzungen reserviert. Der Frauenanteil in diesen Gremien ist äusserst gering. Ich werde dafür sorgen, dass die Anliegen der Frauen*KirchenStreiktage auch dort präsent sind.

Marchon: Streiken ist etwas Aktives. Das ist ein wichtiger Hinweis, dass wir am Frauen*KirchenStreik eben ganz bewusst arbeiten und gestalten. Dass unsere Anwesenheit wichtiger ist als unsere Abwesenheit.

Grünenfelder: Es gibt immer Menschen, die nicht streiken können, denn es braucht eine Notfallversorgung, zum Beispiel in Spitälern, Altersheimen. Die Pflegerinnen tragen dann aber den Streikbutton. Das heisst: Auch Kirchenfrauen können während ihrer Arbeit ihre Solidarität mit den Streikenden und den Streikzielen zeigen.

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