Menschen mit Behinderung

Auf der Piste gibt es keine Behinderung

Aufgezeichnet von Dominik Thali

Wenn Eveline Berg mit behinderten Menschen auf der Piste unterwegs ist, erlebt sie, wie Kinder aufblühen und Erwachsene über sich selbst staunen. Für sie ist Behinderung kein Grund, auf Sport zu verzichten. Sondern Ansporn, das zu fördern, was trotzdem möglich ist.
Behinderung ist kein Grund, auf Sport zu verzichten: Eveline Berg auf der Piste mit einem behinderten Kind im Skibob. | Bild: Privatarchiv

Blicke ich zurück, war mein Schlüsselerlebnis jener Wintertag vor etwa acht Jahren. Mir wurde als als Skilehrerin Noemi zugeteilt, ein Mädchen mit einer halbseitigen Lähmung. Die Eltern hatten schon viel versucht, Noemi das Skifahren zu ermöglichen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich vorgehen sollte. Also machte ich mir erst ein Bild über Noemis Können und sprach darüber mit der Familie. Ende Woche werde Noemi bestimmt selbstständig bis ins Tal fahren. Die schauten mich alle mit grossen Augen an.

«Jeder Mensch hat in seinem Innersten doch etwas, das ganz intakt ist.»

Eveline Berg

Aber es gelang. Und war für beide Seiten unglaublich. Noemi konnte am Skirennen teilnehmen und bekam sogar eine Medaille. Intuitiv war ich so vorgegangen, wie es sich fortan bewähren sollte: Schauen, welche Möglichkeiten jemand mit einer Behinderung mit sich bringt. Beim adaptierten Skiunterricht nehme ich auch Hilfsmittel dazu, bis hin zu einem Dualbob. Jeder Mensch hat in seinem Innersten doch öppis, das ganz intakt ist. Davon gehe ich aus. Nicht von der Einschränkung.

Begeisterung, die ansteckt

Ich kann das nicht so gut erklären, ich spüre es eher. Und es zeigt sich im Miteinander auf der Skipiste, in der zwischenmenschlichen Beziehung. Anders geht es gar nicht. Ich passe den Unterricht jedem einzelnen Menschen an. Manchmal braucht ein Kind zwei Jahre für etwas, das sich ein anderes schon nach einer Stunde getraut. Wieder andere fahren nach einer Saison die schwarze Piste hinunter. Doch alle fangen im Flachen an, zuerst mit nur einem Ski angeschnallt, um ein Gefühl fürs Gleiten zu bekommen.

Nach dem Erlebnis mit Noemi hatte es mich gepackt. Ich meldete mich bei «Plusport», dem Verband Behindertensport Schweiz, bildete mich dort weiter und fing an, Menschen in Lagern zu begleiten. Begeisterung zu vermitteln begeistert mich selbst. Und wer begeistert ist, lernt auch wie von selbst. Das habe ich damals bei meiner Ausbildung zur Craniosacral-Therapeutin selbst erfahren.

Können, Technik und Sicherheit sind auf der Skipiste zwar wichtig. Doch was Erfolg und Erlebnis in jemandem auslösen, darauf kommt es an. Unlängst habe ich es einem geistig behinderten Buben mit Hilfe des Dualbobs ermöglicht, mit seiner ganzen Familie auf der Piste unterwegs zu sein. Diese Freude, dieses Strahlen in den Augen werde ich nie vergessen! Bewegung und Sport stärken das Selbstbewusstsein und schaffen Gemeinschaft. Das ist Lebensqualität, gerade für Menschen mit einer Behinderung.

Eveline Berg (59) ist gelernte Hochbauzeichnerin, arbeitete dann für die Archäologie und bildete sich später zur Craniosacral-Therapeutin weiter. 2009 zog sie mit ihrem Ehemann nach Flühli und wurde Skilehrerin. Inzwischen führt sie als Behindertensportlehrerin «Ski Alpin stehend und sitzend geführt» eine eigene Skischule.

Lebenswert

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