Menschen, die auf überfüllten Booten übers Meer nach Europa gelangen: Sie sind irgendwer. Im Dorf aber erhalten sie einen Namen. Zum Beispiel in Aesch, wo neun Männer aus Eritrea leben und das Geben und Nehmen beide Seiten weiterbringt.
«Wenn man will, ist Integration
gar nicht so schwierig», sagt Edith Brunner (43). Will heissen: Sie fängt im
Kopf an. Und braucht Menschen, die mit Herz handeln.
Die Integrationsgruppe, die Brunner 2015 in Aesch gegründet hat,
trägt viel dazu bei, dass die Haltung Asylsuchenden und Flüchtlingen gegenüber
in ihrer Gemeinde offen geworden ist. Als im vergangenen Jahr vier Männer aus
Eritrea und dem Sudan ausreisen mussten, obwohl sie sich über ihre Arbeit und
das Mittun in der Freizeit schon gut eingelebt hatten, konnten das viele in Aesch nicht
verstehen.
Kein «Asylbonus»
Von den neun jungen Männern aus
Eritrea, die derzeit in dem Dorf am Hallwilersee leben, haben sechs eine Arbeit
oder stecken in einem Praktikum. Zum Beispiel Andamikael Kifle (32), der es als
Mitarbeiter des Bauunternehmens Budmiger Bau GmbH geschafft hat, sich von der
Sozialhilfe zu lösen. Brunner und die Sozialvorsteherin der Gemeinde hatten
einen Probeeinsatz vermittelt, Christian Budmiger gewann sein Führungspersonal
für die Idee, und inzwischen ist Kifle ein fester Wert im Team. Einen
«Asylbonus» habe dieser freilich nicht, sagt Budmiger. «Selbstverständlich sind
meine Erwartungen als Arbeitgeber zu erfüllen.» Er wolle aber Menschen wie
Andamikael Kifle die Möglichkeit geben, mit Arbeit ihren Lebensunterhalt zu
verdienen. «Wer dank einer Arbeit auch Steuern bezahlt
und sich in der Freizeit am öffentlichen Leben beteiligen kann, erlebt so
eine akzeptierte Integration.» Ohnehin, betont Budmiger, sei der Markt für
Hilfsarbeiter auf dem Bau eher ausgetrocknet.
Fthawis gute Laune
Gute Erfahrungen macht auch
Stephan Weibel von der gleichnamigen Schreinerei in Schongau. Hier steckt der 25-jährige Fthawi Abraham in einer Anlehre
als Schreinerpraktiker. Er kam 2014 nach Aesch und hat
mittlerweile im Nachbardorf Altwis eine eigene Wohnung gefunden. Die grösste
Schwierigkeit sei die Sprache, sagen Weibel wie Budmiger, zumal sich in
einem Gewerbebetrieb die Mitarbeitenden auch aus Sicherheitsgründen verstehen
müssten. Die Liste der «schönsten Erfolgserlebnisse» ist für Weibel indes
länger: «Das ist vor allem die Motivation, die Freude an der Arbeit, die
Pünktlichkeit von Fthawi, und er ist stets gut aufgelegt.» In der Gewerbeschule
sei sein Lehrling «sehr fleissig», lerne viel und habe gute Noten.
Von anderen Unternehmen haben bis
jetzt weder Christian Budmiger noch Stephan Weibel kritische Bemerkungen
vernommen. «Im Gegenteil», sagt Weibel, «es gibt solche, die fragen uns nach
den Erfahrungen und überlegen sich, ebenfalls einen Asylsuchenden oder Flüchtling einzustellen.»
«Ihre Leistung ist riesig»
Edith Brunner erstaunen die guten
Erfahrungen der beiden Unternehmer mitnichten: «Asylsuchende wollen sich beweisen. Und bemühen sich, keine Fehler machen. Wenn man
bedenkt, was sie alles lernen müssen, bis sie in unserer
Gesellschaft mithalten können, vom Papiersammeln bis zur Sonntagsruhe, ist ihre
Leistung riesig.» Brunner weiss, wovon sie spricht. Die gelernte
hauswirtschaftliche Betriebsleiterin sammelte Erfahrungen bei der Caritas als
Leiterin zweier Asylzentren.
Der Schritt von dort in die eigene Wohnung sei nochmals sehr gross, in ein kleines Dorf wie Aesch erst recht. «Hier wird man als Person wahrgenommen und gehört nicht einfach zur grossen Masse der Ausländer.» Stimmt, sagt Filmon Andemeskel (25). Als er im Dezember 2014 von Luzern nach Aesch kam, für ihn ins Niemandsland, bezweifelte er erst, hier eine Arbeit zu finden. Inzwischen hat Andemeskel Aussicht auf eine Lehrstelle als Maler bei einem örtlichen Betrieb, man trifft ihn und seine Kollegen beim Palmen binden für die Pfarrei oder bei einem Naturschutz-Einsatz ebenso wie jeden Freitagabend beim Volleyball.
Volleyballgruppe gegründet
Weil es mit dem Turnen sonstwo
nicht klappte, gründete die Integrationsgruppe
kurzentschlossen eine Volleyballgruppe mit den Asylsuchenden aus
Aesch, Altwis und Ermensee, in der mittlerweile auch viele Schweizerinnen und
Schweizer mittun. «Voll cool, die Turnhalle ist bald zu klein.» Die Angst vor
den Fremden weiche sich auf, stellt Brunner fest. Freilich weiss sie inzwischen
auch gut, wen sie wofür fragen kann: «Man muss echli
gschpüre, wer etwas gut findet und wer nicht.» Dafür ist Aesch
klein genug, man kennt sich im Dorf. «Am Anfang schauten uns die Leute an. Zum
Beispiel im Dorfladen», erinnert sich Filmon Andemeskel. Aber das habe sich
gelegt. Man versteht und trifft sich inzwischen.
Zum Beispiel am Badikiosk am See, dem Dorftreffpunkt im
Sommer. Der Kiosk ist Edith Brunners Hauptbeschäftigung; als Pächterin der
Gemeinde ist sie hier selbst Arbeitgeberin von einem Dutzend Frauen und
Männern. Auch einige Asylsuchende aus Eritrea haben hier schon
Arbeitserfahrungen gesammelt. Praktische Integration, wie Brunner mit
Begeisterung erzählt: «Die Männer lernen unsere Arbeitsgewohnheiten kennen, sie
müssen den ganzen Tag Deutsch sprechen, und im besten Fall wird ein Unternehmer oder Teamleiter auf sie aufmerksam, der auf einen
Kaffee vorbeikommt.» Der Badikiosk sei ab und zu auch Vermittlungsstelle.
Auch bei Fragen
und Problemen mancherlei Art. Edith Brunner mag es eigentlich nicht,
wenn die Männer aus Eritrea sie ihrer unkomplizierten Hilfsbereitschaft wegen
fortwährend «Mama Edith» nennen, sie weiss aber diese Bezeichnung als in Afrika
gebräuchliche Ehrerbietung zu schätzen. Abgrenzung sei aber wichtig: «Es ist
nicht immer das Richtige, diesen Menschen alles abzunehmen.»
Hilfe zur Selbsthilfe, die offensichtlich Früchte trägt: Er sei sehr dankbar für die Unterstützung, sagt Fthawi Abraham: «Ich habe dabei auch gelernt, wie ich selbst anderen helfen kann.»
Die Luzerner Bevölkerung anregen, sich vertieft, sachlich und respektvoll mit den Themen Flucht und Asyl auseinandersetzen: Das will die Aktionswoche Asyl, die jedes Jahr um den Weltflüchtlingstag vom 20. Juni gelegt wird. Die Aktionswoche findet dieses Jahr vom 15. bis 23. Juni statt. Während einer Woche erfahren dabei Interessierte an kulturellen, sportlichen, kulinarischen und informativen Anlässen mehr über das Thema Asyl sowie über Herkunft, Kultur und Alltag von Menschen mit Asyl- und Flüchtlingshintergrund.
Das Patronat über die Aktionswoche Asyl hat der «Runde Tisch Asyl» des Kantons Luzern, der Verwaltung, Kirchen und gemeinnützige Organisationen vernetzt. Am «Runden Tisch Asyl» sitzen auch die drei Landeskirchen und die Caritas Luzern.
Integrationsgruppen wie in Aesch gibt es in vielen Gemeinden. Sie sind unterschiedlich organisiert. Manche arbeiten unabhängig, andere im Auftrag der Behörden und/oder in Verbindung zur Kirche. Caritas Luzern, Partnerin der katholischen Landeskirche im Bereich Migration und Integration, bietet Freiwilligen, die sich für Asylsuchende und Flüchtlinge einsetzen, Austauschtreffen und Weiterbildungen an. Aktuell zum Beispiel im Rahmen der Aktionswoche Asyl die Veranstaltung «Das neue Asylverfahren kurz erklärt». «In meinem Alltag begegnen mir an vielen Orten Menschen, die sich mit Herzblut engagieren», sagt Stefanie Hodel von Caritas Luzern «Ihnen allen danken wir für ihr wertvolles Engagement herzlich.»