Bettag 2019: Regierungsrat Reto Wyss will «fairantwortlich» sein

Regierungsrat Reto Wyss (CVP) ist am Bettag vom 15. September Gast in der Luzerner Johanneskirche. In einer ökumenischen Matinée spricht er zum Bettagsmotto «fairantwortlich». Im Interview macht sich der Luzerner Finanzdirektor Gedanken darüber, was es für ihn heisst, Verantwortung zu tragen und fair zu sein. Und warum er den Sonntag nach wie vor hochhält.
«Fair zu sein heisst, sich bei der Beurteilung einer Situation in die Lage der anderen Beteiligten hineinzuversetzen»: der Luzerner Regierungsrat und Finanzdirektor Reto Wyss vor dem Plakat zur Bettagsaktion 2019. | © 2019 Urban Schwegler

Interview mit Reto Wyss

Der Bettag steht in diesem Jahr unter dem Motto «fairantwortlich». Es spielt mit den Wörtern «fair», «Verantwortung» und «ich». Als Politiker sind Sie es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Fällt Ihnen das leicht?

Reto Wyss: Ich mache es gern. Aber es fällt mir nicht immer leicht. Es ist schon fast eine philosophische Frage: Was ist denn schon ganz leicht im Leben? Verantwortung gehört zu jeder Führungsfunktion. Das hat mit den Entscheidungen zu tun, die man fällen muss. Mir ist bewusst, dass sie nicht immer von allen gleich gut verstanden werden und dass es auch Leute gibt, die durch gewisse Entscheidungen enttäuscht werden. Aber Politik orientiert sich an Mehrheiten.

Wo es Mehrheiten gibt, gibt es auch Minderheiten. Wie gehen Sie mit dem Bewusstsein um, Minderheiten nicht gerecht werden zu können?

Das ist nicht immer leicht. Damit sind wir beim Bettagsmotto fairantwortlich! Man muss fair sein und auch unbeliebte Entscheidungen transparent kommunizieren. Doch in einer Demokratie entscheidet nun halt mal die Mehrheit. Besonders schmerzhaft ist es, wenn die Kräfteverhältnisse sehr ausgeglichen sind. Es kann auch wirklich weh tun, wenn man weiss, dass aufgrund einer Entscheidung relativ viele Leute enttäuscht werden.

In welchen Situationen fällt es Ihnen eher schwer, Verantwortung zu übernehmen?

Das kann ein Personalentscheid oder ein finanzieller Entscheid sein. Entscheide zu fällen, die Menschen enttäuschen, ist auch für Politiker nicht besonders schön. Aber wenn man nach reiflicher Überlegung zu einer Haltung kommt, dann kann man sie auch vertreten, auch wenn es nur eine knappe Mehrheit gibt. Das macht den Alltag manchmal schwierig, solche Entscheide fallen nicht leicht.

Was motiviert Sie, als Regierungsrat Verantwortung zu übernehmen?

Es ist für mich ein Privileg, das Vertrauen der Luzerner Bevölkerung erhalten zu haben, um Verantwortung zu übernehmen und Entscheide fällen zu dürfen. Das motiviert mich enorm. Die Aufgabe als Regierungsrat ist verantwortungsvoll, herausfordernd, vielseitig spannend und lebensnah. Diese Kombination begeistert mich noch heute jeden Tag.

Lebensnah inwiefern?

Wenn jemand zum Beispiel ein gesundheitliches Problem hat, ist diese Person sehr froh, wenn die öffentliche Hand ein funktionierendes Gesundheitswesen zur Verfügung stellt. Wer Kinder hat, ist froh, diese in eine gute Schule schicken zu können. Andere Themen sind Sicherheit oder Mobilität. Ich habe in meinem Amt nicht mit irgendwelchen abstrakten Fragen zu tun, sondern mit Themen, die unsere Bevölkerung direkt betreffen. Für mich ist es Motivation und Genugtuung, da mitarbeiten und mitentscheiden zu dürfen.

Kirche und Staat sind bei uns weitgehend getrennt. In welchen Bereichen können sie trotzdem gemeinsam Verantwortung übernehmen?

Da gibt es einiges. Deshalb steht mir das diesjährige Bettagsmotto auch so nahe. Kirche und Staat nehmen heute in sehr vielen Bereichen gemeinsam Verantwortung wahr. Gemeinsam kümmert man sich um Menschen in schwierigen Situationen, die Unterstützung und Betreuung brauchen. Ein Leuchtturmprojekt ist die kirchliche Gassenarbeit. Zu nennen ist beispielsweise auch die gemeinsame Pflege von Sakralbauten. Es gibt viele Berührungspunkte. Die Trennung von Kirche und Staat ist richtig und gut. Gut ist aber auch die einvernehmliche, pragmatische Zusammenarbeit, die wir im Kanton Luzern pflegen.

Ein Berührungspunkt ist die Kirchensteuer, die zusammen mit der staatlichen Steuer erhoben wird. In den letzten Jahren gab es Diskussionen rund um die Kirchensteuer von juristischen Personen. Ist es noch gerechtfertigt, dass Unternehmen Kirchensteuern zahlen?

Ja. Natürliche und juristische Personen profitieren vom Angebot, das sowohl der Staat als auch die Kirchen zur Verfügung stellen. Ich finde es richtig, dass auch die juristischen Personen finanziell zu sozialen oder kulturellen Leistungen der Kirchen beitragen, die der Allgemeinheit zugutekommen. Die juristischen Personen sind darauf angewiesen, dass wir eine stabile gesellschaftliche Situation haben. Die Unternehmen und die ganze Wirtschaft profitieren von einem guten und geordneten Zusammenleben.

Was bedeutet für Sie fair beziehungsweise Fairness?

Sich bei der Beurteilung einer Situation in die Lage der anderen Beteiligten hineinzuversetzen. Ich frage mich: Wie würde ich die Sache beurteilen, wenn ich auf der anderen Seite stünde? Fairness heisst für mich auch, sich anständig und gerecht zu verhalten.

Was heisst für Sie gerecht?

Das ist schwierig zu definieren, wie Fairness ja auch. Ich glaube, wir alle haben ein tief verankertes Gerechtigkeitsempfinden. Wenn ich mich daran orientiere, dann bin ich auf einem guten Weg. Ebenso wie ich mich an den christlichen Grundlagen orientiere, die ich oben erwähnt habe. Dabei versuche ich, mich in die anderen hineinzuversetzen. Wie kommt das bei ihnen an, was ich im Sinn habe?

Wie gelingt es, in der Politik möglichst fair zu sein? Auch zu seinen politischen Gegnern?

In der Politik steht die Auseinandersetzung im Vordergrund. Es geht darum abzuwägen, auszuhandeln und Mehrheiten zu finden. Jeder versucht, seinen Standpunkt möglichst gut zu vertreten. Letztlich aber entscheiden die Volksvertreterinnen und -vertreter im Parlament, zum Beispiel darüber, wie viele finanzielle Mittel in einen Bereich oder eine Aufgabe fliessen. Da finde ich es fair, wenn man ihnen möglichst transparent die Grundlagen der Entscheidung zur Verfügung stellt. Fair bedeutet für mich auch, dass ich politisch anders Denkende in ihrer Haltung ernst nehme. Die Auseinandersetzung soll sachlich sein. Sie kann durchaus hart geführt werden, soll aber nicht verletzend oder persönlich sein. Ich kann mit jemandem hart diskutieren oder sogar einen politischen Streit haben. Wenn das sachlich geschieht, muss man dabei niemanden verletzen.

Der Bettag verliert an Bedeutung. Der Sonntag ist immer mehr unter Druck. Welchen Stellenwert messen Sie dem Sonntag zu?

Ich habe eine prall gefüllte Agenda mit vielen Wochenendterminen. Dennoch bleibt der Sonntag ein Tag, an dem ich mir Zeit für die Familie und mich sich selbst nehme. Auch der sonntägliche Gottesdienstbesuch hat für mich einen zentralen Stellenwert. Der Sonntag ist ein wichtiger Tag, auf den man nicht einfach so verzichten könnte. Ich gehöre auch nicht zu denen, die meinen, die Geschäfte müssten sieben Tage die Woche offen sein. Im Gegenteil, es gibt an Sonn- und Feiertagen ganz viele andere Möglichkeiten als seine Zeit mit Einkäufen zu verbringen. Man kann etwas tun für sich persönlich, die Familie oder die Gemeinschaft.

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